Halal Media Solution – Susann Uckan

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Die leise Katastrophe unserer Zeit

Titel Die Leise Katastrophe unserer Zeit mit Sanduhr

Manchmal frage ich mich, wann genau wir die Stille verloren haben.
Nicht die äußere (die kann man mit Kopfhörern oder Lärm ersetzen), sondern die innere. Die, in der man sich selbst noch spürt.

Irgendwann sind wir losgerannt, ohne zu merken, dass niemand weiß, wohin.
Wir nennen es Fortschritt, doch oft fühlt es sich an wie Flucht.
Vor der Leere zwischen zwei Gedanken. Vor dem unbequemen Gefühl, dass wir uns im Tun verlieren.
Wir haben Maschinen erschaffen, die uns Zeit schenken sollten und sie uns gleichzeitig genommen haben.
Was, wenn die wahre Krise unserer Zeit nicht Überforderung ist, sondern Entfremdung?
Von uns selbst. Von der Stille. Von dem, was Leben eigentlich ist.

Reisen wir mal kurz zurück:

Im Zeitalter der Briefe per Pferd hatte Zeit noch einen anderen Rhythmus: Wochen zwischen Frage und Antwort. Das erzwang Geduld, Kontemplation, vielleicht auch eine andere Art von Tiefe.

Die Nachricht, die man schrieb, musste es wert sein, geschrieben zu werden.

Heute tippen wir Gedanken ab, bevor sie zu Ende gedacht sind.

Mit jeder technologischen Erleichterung hätten wir die Wahl gehabt. Nach der Industrialisierung hätten wir sagen können: „Gut, jetzt arbeiten wir nur noch halb so viel.“ Haben wir aber nicht. Stattdessen haben wir die Produktivität verdoppelt, verdreifacht, verzehnfacht. Das Hamsterrad dreht sich schneller, nicht langsamer.

Bei der KI sehen wir jetzt dasselbe Muster in Echtzeit. Sie könnte uns Raum geben für Muße, für Kreativität, für das, was die Griechen „Scholé“ nannten, die Zeit des freien Geistes. Stattdessen füllen wir die gewonnenen Minuten mit noch mehr Input, noch mehr Output, noch mehr… Rauschen.

Vielleicht liegt es daran, dass wir als Gesellschaft nie gelernt haben, mit Fülle umzugehen… nur mit Mangel. Wir wissen, wie man kämpft, optimiert, produziert.

Aber einfach sein? Das ist uns fast unheimlich geworden.

Die Warnungen sind seit Jahrzehnten da von Burnout-Forschern, von Kulturkritikern wie Hartmut Rosa mit seiner „Resonanztheorie“, von Achtsamkeitslehrern. Aber irgendwie verpuffen diese Appelle weitgehend.

Es fehlt nicht nur kritisches Denken, sondern auch der Mut zur Konsequenz. Viele Menschen wissen intellektuell, dass sie aussteigen sollten aus diesem Hamsterrad. Sie nicken bei Artikeln über Work-Life-Balance, sie kaufen Bücher über Entschleunigung. Aber dann – und das ist entscheidend – machen sie trotzdem weiter wie bisher.

Warum? Weil die Systeme, in denen wir stecken, unglaublich gute „Einhegungsmechanismen“ haben:

  • Wirtschaftlicher Druck: Wer sich nicht anpasst, fällt zurück. Die Miete muss bezahlt werden.
  • Sozialer Druck: „Was machst du eigentlich den ganzen Tag?“ Muße ist gesellschaftlich fast schon verdächtig geworden.
  • Identität: Viele Menschen definieren sich über Produktivität. Wer bin ich, wenn ich nicht leiste?

Politik und Wirtschaft treiben uns, ja. Aber – und hier wird’s unbequem – wir treiben auch uns selbst. Wir checken freiwillig alle paar Minuten das Smartphone. Wir füllen jede freie Sekunde mit Podcast, Musik, Scrollen. Die Stille ist uns abhanden gekommen, und ich glaube, das ist kein Zufall, sondern auch eine Form von Flucht. Vor uns selbst, vor dem Nachdenken, vor dem, was wir in der Ruhe vielleicht erkennen würden.

Kritisches Denken allein reicht vielleicht nicht. Es braucht auch kritisches Fühlen, das Spüren, dass etwas fundamental nicht stimmt.

Wann haben wir aufgehört zu spüren, dass etwas nicht stimmt, oder besser: wann haben wir gelernt, dieses Gefühl zu ignorieren?

Ich glaube, es gibt mehrere historische Bruchstellen:

Die industrielle Revolution war vielleicht die erste große Entkopplung. Plötzlich bestimmte nicht mehr der natürliche Rhythmus (Sonnenauf- und -untergang, Jahreszeiten) unser Leben, sondern die Fabriksirene. Der Mensch wurde zum Rädchen in einer Maschine. Zeit wurde messbar, verwertbar, verkaufbar. Die Taschenuhr wurde zum Symbol dieser neuen Ordnung.

Die protestantische Arbeitsethik hat das kulturell zementiert, zumindest im Westen. Müßiggang wurde zur Sünde erklärt. Arbeit bekam einen quasi-religiösen Wert. Wer nicht arbeitet, ist nicht nur arm, er ist moralisch minderwertig.

Aber ich denke, der entscheidende Bruch kam in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: die Konsumgesellschaft. Plötzlich ging es nicht mehr nur ums Überleben oder um Produktivität, sondern um endloses Wachstum. Und dafür brauchte es Menschen, die nie zufrieden sind, die immer mehr wollen, die ständig beschäftigt sind, entweder mit Arbeiten oder mit Konsumieren.

Die Werbeindustrie hat ganze Arbeit geleistet: Sie hat uns beigebracht, dass wir unvollständig sind, dass wir immer etwas brauchen… das nächste Produkt, das nächste Erlebnis, die nächste Optimierung unserer selbst.

Und dann kam das digitale Zeitalter, das diese Mechanismen ins Unermessliche verstärkt hat. Social Media funktioniert nach denselben Prinzipien wie Spielautomaten: variable Belohnungen, endloses Scrollen. Unsere Aufmerksamkeit wurde zur wertvollsten Ressource, und ganze Industrien sind darauf ausgerichtet, sie zu stehlen.

Was dabei verloren ging? Die Langeweile. Klingt banal, aber Langeweile war historisch der Raum, in dem Menschen gespürt haben: „Moment, was mache ich hier eigentlich? Was will ich wirklich?“ Heute haben wir keine Langeweile mehr. Jede potenzielle Leerstelle wird sofort gefüllt.

Und noch etwas: Gemeinschaft. Früher gab es Dorfplätze, lange Abendessen, Zusammenkünfte, wo Menschen einfach waren, ohne Agenda. Heute sind selbst unsere sozialen Kontakte oft durchgetaktet, optimiert, mit Mehrwert versehen.

Das kritische Fühlen ist uns nicht einfach abhanden gekommen, es wurde uns systematisch abtrainiert. Weil Menschen, die innehalten und spüren „Das hier stimmt nicht“, gefährlich sind für ein System, das auf permanentes Wachstum und Konsum angewiesen ist.

Vielleicht beginnt alles mit einem Moment des Schweigens.
Mit dem Mut, nicht sofort zu reagieren. Mit dem Aushalten der Leere, die zuerst bedrohlich wirkt  und dann langsam zu sprechen beginnt.

In dieser Stille liegt etwas, das wir vergessen haben: Wahrheit. Nicht die, die man googeln kann, sondern die, die man nur spürt, wenn alles andere aufhört, laut zu sein.
Vielleicht erkennen wir dann, dass das, was wir Fortschritt nennen, oft nur eine Flucht vor uns selbst war.

Und vielleicht verstehen wir, dass die eigentliche Revolution nicht darin liegt, neue Technologien zu meistern, sondern uns selbst wiederzufinden, hinter all den Filtern, To-do-Listen und Illusionen von Kontrolle.

Denn am Ende wird uns kein Algorithmus retten, keine Produktivität, kein Wachstum.
Nur das, was wir längst in uns tragen: die Fähigkeit, still zu werden und wieder zu fühlen, dass wir leben.

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