Ichtilāf die Meinungsverschiedenheit unter den Rechtsgelehrten sowohl innerhalb einer Rechtsschule als auch zwischen den verschiedenen Rechtsschulen im Islam. Er ist der Gegenbegriff zum Idschmāʿ, dem Konsens (übereinstimmende Meinung) der Rechtsgelehrten, der die dritte Quelle der Rechtsfindung darstellt.
Ursprünglich waren unterschiedliche Lehrmeinungen und Rechtsauffassungen in den Rechtsschulen, die in den Zentren des islamischen Reiches im 8. und 9. Jahrhundert entstanden sind, möglich. Sie waren allerdings nur dann zulässig, wenn sie im Idschtihād (Findung von Normen durch eigenständige Urteilsbemühung), in der unabhängigen Interpretation von Koran und Sunna begründet waren.
Zur Rechtfertigung der im Zuge des Idschtihād entstandenen Meinungsunterschiede hat man schon früh auf ein angebliches Prophetenwort verwiesen: „Der Dissens (Meinungsverschiedenheit) der Gemeinde ist eine Gnade“ (Iḫtilāf al-umma raḥma). Josef van Ess (deutscher Islamwissenschaftler) hat darauf hingewiesen, dass es aus den Kernbegriffen von Sure 11:118 („Und wenn dein Herr wollte, hätte Er die Menschen wahrlich zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Aber sie bleiben doch uneinig,“) zusammengesetzt ist und damit gewissermaßen eine Auslegung dieser Koranstelle darstellt. Dieser Leitsatz wird auch dem Gründer der hanafitischen Rechtsschule Abū Hanīfa als ein Bekenntnissatz zugeschrieben. Eine Variante des Satzes, die den Akzent stärker auf die Urgemeinde legte, lautete: „Der Dissens meiner Gefährten ist eine Gnade“ (Iḫtilāf aṣḥābī raḥma). Beide Versionen des Satzes haben später Aufnahme in Hadith-Sammlungen gefunden.
Kontroverse Lehrmeinungen sind vor allem im Fatwa-Wesen (von einer muslimischen Autorität auf Anfrage erteilte Rechtsauskunft, die dem Zweck dient, ein religiöses oder rechtliches Problem zu klären) der islamischen Jurisprudenz, in den Rechtsgutachten des Mufti (offizieller Erteiler von islamischen Rechtsgutachten), die alle Bereiche des religiösen und profanen Lebens der Muslime erfassen, üblich.
(Kurzfassung vom wikipedia-Artikel Ichtilāf)
Wann und warum entstand Ichtilāf (Meinungsverschiedenheit)?
In diesem verlinkten Video (Meinungsverschiedenheiten (Ikhtilaf) unter den Muslimen | Seit wann? von Generation Islam *Anmerkung: Ich vertrete nicht alles, was der Kanal veröffentlicht) wird gut zusammengefasst, ab wann Ichtilāf vollzogen wurde und warum überhaupt Ichtilāf entstanden ist:
1. Zu Zeiten des Propheten (saw) gab es nicht so viel Idschtihād und somit auch nicht so viel Ichtilāf. Wenn es unterschiedliche Meinungen gab, wurde der Prophet (saw) gefragt und dieser entschied, welche Meinung richtig ist oder ob beide gelten. Außerdem gab es nicht so viele unterschiedliche Realitäten (Lebenssituationen durch Herkunft, kulturellen Einflüssen, zeitlichen Gegebenheiten etc.), die deswegen unterschiedliche Sichtweisen, Denkweisen und Herangehensweisen hervorbrachten.
2. Zu Zeiten der Sahaba (Gefährden des Propheten), nach dem Ableben des Propheten (saw), kam es natürlicherweise zu mehr Ichtilāf, weil man bei Meinungsverschiedenheiten ihn nicht mehr direkt fragen konnte. Auf Grund der beginnenden Ausweitung des Islams in andere Länder mit anderen Kulturen und neuen zeitlichen Begebenheiten, entstanden logischerweise auch neue Situationen, die im islamischen Kontext von den derzeitigen Gelehrten bewertet werden mussten.
Was bedeutet Ichtilāf (Meinungsverschiedenheit) für uns Muslime heute?
Auch unsere Zeitepoche beinhaltet ganz neue Entwicklungen im Bereich der Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Wir sind häufiger mit noch nie dagewesenen Situationen konfrontiert, die islamrechtlich von früheren Gelehrten somit auch nicht erfasst und beurteilt werden konnten. Diese Aufgabe müssen unsere heutigen Gelehrten erfüllen, was eine sehr hohe und schwierige Verantwortung mit sich trägt.
Eine Fatwa aus Qur’an, Sunnah und früheren Gelehrtenmeinungen abzuleiten ist keine Aufgabe, die man eben mal so nebenbei durchführen kann. Nicht nur, dass man erst wirklich Experte auf einem Gebiet ist, wenn man viele Jahre seines Lebens mit dem Studium, der Wissensaneignung und mit dem Sammeln diesbezüglich notwendiger Erfahrungen verbracht hat, es MUSS auch eine autorisierte Person (ein bereits offizieller Gelehrter) Erlaubnis dafür geben, dass man als Gelehrter Fatwas erstellen darf.
Wenn man nun als Laie auf eine Situation trifft, die islamrechtlich neu bewertet werden muss (weil es in den früheren Fatwas explizit dafür noch nicht erfasst wurde), ist es nahezu verpflichtend, sich eine Fatwa von einem Gelehrten ausstellen zu lassen. Diese Fatwa ist dann rechtsgültig (so lange diese nicht eindeutig in der Basis gegen den islamischen Konsens der früheren Gelehrten der 4 Rechtsschulen spricht) und liegt in der Verantwortung des Gelehrten, der sie verfasste. Das bedeutet: Wenn man dieser Rechtssprechung folgt, so wird man nicht dafür zur Rechenschaft gezogen, falls die Fatwa nicht korrekt war.
Natürlich heißt das nicht, blind jedem Gelehrten und seinen Aussagen zu folgen, jedoch fehlt es ja schon den meisten von uns an Wissen, um mit absoluter Gewissheit sagen zu können: der hat recht oder unrecht. Man kann sich den Gelehrten genauer ansehen und nachvollziehen, wo er gelernt hat, welcher Rechtsschule er folgt etc. Man kann Aussagen anderer Gelehrter zu diesem Gelehrten nachschauen, wenn man etwas findet. Aber letztendlich darf man keinem Bruder und keiner Schwester aus dem Islam werfen, nur weil er/sie dieser einen Meinung folgt, die entgegengesetzt deiner Ansicht ist.
SocialMedia macht es zu leicht, schnell mal seine Meinung zu islamischen Rechtsthemen zu äußern. Die Verantwortung dahinter ist aber immens, so viel sollte einem schon bewusst sein. Es wird so oft von Taqwa (Gottesfurcht) gesprochen und mit erhobenen Zeigefinger gewarnt. Vielleicht lohnt es sich, ein paar Schritte zurück zu gehen und sich noch einmal vor Augen zu führen, ob die eigene Taqwa auch stark genug ist, um über etwas zu reden, wozu man eigentlich nicht ausgebildet genug ist.
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